Sehr geehrte Damen und Herren,
noch spät gestern Abend erschien in WELT online der nachfolgende,
bemerkenswerte Artikel des Schriftstellers Michael Kleeberg. Lesen Sie
selbst:
Afghanistan
Was wir unseren Soldaten schuldig sind
29. November 2009, 22:48 Uhr
Eine Demokratie hat die Menschen zu achten, die sie in ihren Krieg schickt,
meint der Schriftsteller Michael Kleeberg. Dieser Staat müsse Verantwortung
übernehmen ? nicht nur gegenüber der Bevölkerung in Afghanistan und den
Bündnispartnern, sondern auch gegenüber den eigenen Bürgern in Uniform.
Die Ereignisse bei Kundus, die jetzt zur Entlassung des ehemaligen
Verteidigungsministers geführt haben, rufen bei mir, der ich mich im
letzten Jahr intensiv mit Kriegstraumata beschäftigt habe, ganz andere
Fragen hervor als die momentan öffentlich diskutierten. Ich muss nämlich in
erster Linie an die deutschen Soldaten in Afghanistan denken.
Man weiß spätestens seit dem Golfkrieg von 1991, dass Kriegserfahrungen
viele Soldaten krank machen, der Name, der sich für das, was noch im Ersten
Weltkrieg "shell shock" genannt wurde, eingebürgert hat, ist PTBS, das
Posttraumatische Belastungssyndrom.
Wir dürfen getrost davon ausgehen, dass die deutschen Soldaten in
Afghanistan, die durch ihr unklares Mandat gezwungen sind, abzuwarten, bis
man versucht, sie umzubringen, bevor sie daran denken dürfen, ihre Haut zu
retten, massenhaft Kandidaten für dieses Krankheitsbild sind.
Das neue Bundeswehr-Ehrenmal
Ich gehe ? naiverweise, wird vielleicht mancher behaupten ? davon aus, dass
die Bundeswehr keine blindwütigen Schlächter zu Offizieren macht. Einer
dieser Offiziere hat nun in kürzester Zeit zu entscheiden gehabt, ob er
angesichts eines von Taliban gestohlenen Tanklasters, der, zur Waffe
umfunktioniert, eine potenzielle Gefahr für viele bedeutet hätte, mit Blick
auf die Bilder der Nachtkameras, die zahlreiche um diesen stecken
gebliebenen Lkw wuselnde Gestalten erkennen ließen, einen Trupp seiner
Soldaten, für deren Leib und Leben er verantwortlich war, dort zu
Aufklärungszwecken hinschicken sollte ? im Wissen wohlgemerkt, dass diese
Soldaten sich erst wehren dürfen, wenn auf sie geschossen wird, oder ob er
diesen Lastwagen aus der Luft vernichten lassen sollte. Ersteres hätte mit
einiger Wahrscheinlichkeit zu toten deutschen Soldaten geführt, bei
letzterem lag das Risiko darin, dass sich unvorsichtige Zivilisten unter
die Taliban gemischt hatten, um Benzin zu klauen.
Ich gestehe, angesichts dieser Alternativen ist mir zum ersten Mal das
schreckliche Wort vom Einkalkulieren von Kollateralschäden einsichtig
geworden.
Wir reden momentan viel von den getöteten Taliban und den afghanischen
Zivilisten, wir reden gar nicht von den vielleicht geretteten deutschen
Soldaten. Wir reden aber auch nicht von den toten deutschen Soldaten. Und
wir reden nicht von dem, was in den Köpfen dieser Soldaten vorgehen muss,
die sich vor solche Alternativen gestellt sehen, ohne dass irgendwer in der
Heimat ihnen Hilfe und Verständnis entgegenbringt, mit Ausnahme vielleicht
der Psychologen in den Bundeswehrkrankenhäusern und Lazaretten, die unter
Ausschluss der Öffentlichkeit auch bei uns bereits Traumatherapie leisten.
Es ist höchste Zeit, dass dieser Staat die volle Verantwortung für seine
Entscheidungen übernimmt. Und zwar gegenüber seinen sogenannten
Staatsbürgern in Uniform, nicht nur gegenüber seinen Bündnispartnern und
der Bevölkerung des Kriegsgebietes. Es ist aber auch höchste Zeit, dass
diese Gesellschaft genau das lautstark verlangt.
Entweder wir haben als demokratisches Land eine demokratische Armee, dann
sollte die Tätigkeit unserer Soldaten gewürdigt und geschätzt werden, oder
wir glauben, dass Soldaten etwas per se Undemokratisches sind und schämen
uns ihrer, dann sollten wir die Bundeswehr schließen.
Was nicht geht, ist der halbherzige Schlingerkurs, der auf halber Strecke
abgebrochene Weg hin zu internationaler Verantwortung, die Tatsache, dass
wir Soldaten in ein Kampfgebiet schicken und zugleich zu vertuschen suchen,
dass es sie gibt und was sie dort durchmachen. Wir haben Pflichten
gegenüber den Staatsbürgern, die wir in Afghanistan und in Zukunft
womöglich noch anderswo im Namen unserer Demokratie in Lebensgefahr
bringen.
Wenn wir schon die unsägliche Rechtslage nicht ändern wollen, in der sich
jeder einzelne Soldat in einem Krieg befindet, der offiziell nicht Krieg
genannt werden darf und daher bei jedem womöglich über Leben und Tod
entscheidenden Entschluss, den er trifft, vor einem deutschen Gericht
angeklagt werden kann, dann müssen wir zumindest dafür sorgen, dass diese
Soldaten nicht der verlegen verleugnete gesellschaftliche Ausschuss
bleiben, der sie momentan sind.
Der Preis, den dieses Land mittelfristig zahlen wird, wenn Hunderte oder
Tausende kriegstraumatisierter Soldaten, die niemals öffentliche
Anerkennung für ihr Tun, für ihre Lage bekommen haben, irgendwann durch den
Hinterausgang ins Zivilleben entlassen werden, wird hoch sein. Wir müssen
nur dahin blicken, wohin wir, um Orientierung bemüht, immer blicken, in die
USA. Depressive Veteranen, Veteranen, die in die Asozialität absteigen,
suizidgefährdete Veteranen, potenziell gemeingefährliche Veteranen,
virtuelle Amokläufer. Und das in einem Land, das seine toten Soldaten
immerhin ehrt und seine überlebenden mittlerweile flächendeckend
therapiert. Was wird sein in einem Land wie Deutschland, das sie
gesellschaftlich verachtet und ihre Existenz und ihr Leiden verleugnet?
Wenn die absurde Behauptung, die deutsche Demokratie werde am Hindukusch
verteidigt, nach wie vor die Leitlinie unserer Außenpolitik bildet, dann
möchte ich jeden einzelnen der Menschen, die am Hindukusch für die deutsche
Demokratie gefallen sind, mit seinem Namen und seinem Bild auf den
Titelseiten der deutschen Zeitungen sehen. Dann erwarte ich, dass sie
nicht, peinlich bemüht, jedes Aufhebens zu vermeiden, in irgendwelchen
Hinterhöfen verscharrt werden, während zugleich der Selbstmord eines
Fußballspielers öffentliche Trauerdemonstrationen, ein halbes
Staatsbegräbnis und eine gesellschaftliche Diskussion über die Ursachen
seines Todes nach sich zieht.
Der Autor ist Schriftsteller und lebt in Berlin.
-ohne Worte: Gunner -
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