Heinrich Ortgies, der einige Jahre in Liege (Belgien) lebte und dort die Selbstladetaschenpistole Ortgies entwickelte, ließ diese 1916 patentieren. Eine Selbstladepistole, die ohne eine einzige Schraube zusammengesetzt war (Bild 1).
Die Produktion begann erst nach Ende des WK I um 1919. Die Ortgies Taschenpistole erreichte, aufgrund ihrer schlanken Form und der Kaliberpalette 6,35mm, 7,65mm und 9mm kurz, fast Kultstatus unter den deutschen Taschenpistolen. Selbst über die Landesgrenzen hinaus fand sie große Beachtung. Eigentlich erstaunlich, war doch die Konkurrenz zu diesem Zeitpunkt an Taschenpistolen außergewöhnlich hoch.
Diese Pistole war nach zeitgenössischen Artikeln und Anzeigen offensichtlich sofort ein großer Erfolg. Was bei der äußerst eleganten Linienführung der Waffe nicht sonderlich überrascht, wenn man sie mit den damals üblichen deutschen Pistolen wie Beholla, Mauser 14, S&S 13, Jäger, Langenhan, Walther 4 und Dreyse 07 vergleicht (Bild 2).
Nach Aufzeichnungen vom Verein Deutscher Jäger schossen im Jahre 1921beim „gebrauchsmäßigen Schießen mit Taschenpistolen auf 20m“, immerhin 15 der 22 Teilnehmer mit Ortgies-Pistolen im Kaliber 7,65, was bei der eher filigranen Visierung bemerkenswert ist.
In der Reihe meiner persönlichen Schusstests hat mich diesmal folgende Pistole begleitet:
**Pistole Ortgies im Kaliber 7,65mm**
In seiner Urversion im Kaliber 7,65mm wurde die Waffe ohne eine einzige Schraube hergestellt. Die Konstruktion basierte auf dem Bolzen- und Federprinzip.
In seiner eigenen, kleinen, Waffenfabrik in Erfurt begann Heinrich Ortgies mit der Produktion der Waffe. Der Schlittenaufdruck auf der linken Seite lautete (Bild 3a):
Ortgies & Co. – Erfurt
Ortgies’ Patent
Weiterhin fand sich eine Medaille in den Griffschalen, die stilisiert ein H O (Heinrich Ortgies) darstellt. Diese wurde später in ein mystisches Katzenbildnis, in Form des Buchstaben D, geändert. (Bild 4).
Nach ca. 15000 hergestellten Modellen, war seine Fabrik der gestiegenen Anfrage nicht mehr gewachsen und so fusionierte Ortgies mit den Deutschen Werken AG, ansässig in Erfurt. Nachdem die Deutsche Werke AG das Ortgies Patent sowie die erforderlichen Produktionsmaschinen von Ortgies aufgekauft hat, wurde die Produktion dort 1921 fortgesetzt. Der Verschlussaufdruck lautete nun (Bild 3 b):
Deutsche Werke Aktiengesellschaft Werk Erfurt
Ortgies Patent
Deutsche Waffenwerke brachte dann zusätzlich noch eine verkleinerte, 6,35mm, Version auf den Markt.
Nochmals, nach dem 30.000 Model wurde der Verschlussaufdruck geändert. Er lautete nun (Bild 3c):
Ortgies Patent
Deutsche Werke Aktiengesellschaft
Werk Erfurt
bis in letztendlich in (Bild 3 d):
Deutsche Werke „D“ Werk Erfurt
Wobei das D dem der Griffschalenmedaille glich.
Ingesamt wurden 450.000 Pistolen hergestellt. Ca. 180.000 Stück davon im Kaliber 6,35mm der Rest in 7,65mm und 9mm Kurz, wobei die fortlaufende Nummerierung der 7,65mm und 9mm kurz Modelle nicht getrennt wurde.
Wann genau die Produktion eingestellt wurde ist strittig. Einige Quellen beziehen sich auf das Jahr 1924, andere auf das Jahr 1926.
Die Ortgies Pistole ist nie offiziell als Ordonanzwaffe (trotz der hohen Stückzahl in einer relativ kurzen Produktionszeit) gebaut worden.
Dennoch wurden einige staatlich bewaffneten Organe, wenn auch „Teiloffiziell“, mit der Waffe ausgestattet, wodurch sie wohl letztendlich den „inoffiziellen“ Status der Ordonanzwaffe erreicht hat.
Technische Daten:
Verschlußsystem: Rückstoßlader mit Federmasseverschluss
Kaliber : 6.35mm, 7,65mm oder 9mm kurz
Lauflänge : 90 mm
Gesamtlänge : 160 mm
Gesamthöhe : 110 mm
Gesamtbreite : 25 mm
Gewicht: 600 g
Magazinkapazität : 7
Das Zerlegen ist nicht der damals allgemeinen Technik der europäischen Taschenpistolen angepasst. Ortgies richtete einen Demontageknopf am oberen, linken, hinteren Rahmen ein. Dieser muss lediglich eingedrückt gehalten, der Verschluss ca. 10mm nach hinten gezogen, nach oben abgehoben und durch nach vorn schieben von der Waffe getrennt werden (Bild 5 a).
Die Baugruppen der Pistole bestehen aus Verschluss, Rahmen mit Lauf und Abzugseinrichtung sowie der Verschlussfeder und dem Magazin (Bild 5 b).
Auch die Demontage der Griffschalen ist so eine Sache für sich, da ja keine Schrauben auftreten.
Zur Entnahme der Griffschalen muss eine in der hinteren Seite des Magazinschachtes befindliche Federklammer mit einem Schraubendreher ( o.ä. ) heruntergedrückt werden.
Dies gelingt leicht, aber es muss doch davor gewarnt werden, weil die Montage der Griffschalen etwas „fummelig“ ist mit der Gefahr, die Griffschalen zu beschädigen (Bild 6).
Weiterhin besaß die Pistole eine Griffsicherung, die sich darin von den üblichen Griffsicherungen unterschied, indem sie sich erst nach Fertigladen der Waffe aktiviert und nach Eindrücken mit der Schusshand die Schussauslösung durch Freigabe der Abzugstange ermöglicht. Einmal Aktiviert, blieb die Waffe schussbereit, bis durch Eindrücken des Demontageknopfes die Griffsicherung die Abzugstange wieder sperrte. Dieses erfolgte durch Freigabe der Schlagbolzenfeder, die durch zurückschnellen die Griffsicherung wieder in die hintere Stellung zurückdrückte. Für eine Taschenpistole schon ein erstaunliches „gadget“ (Bild 7).
Eine weitere Sicherung oder einen Verschlussfang besaß die 7,65mm Ausfertigung allerdings nicht.
Ein Kaliberwechsel zwischen 7,65mm und 9mm kurz fand durch den Einbau eines Wechsellaufes statt, wobei der Ursprungslauf einfach mit einer Rechtsdrehung aus dem Rahmen gedreht wurde. Die Passungen waren so genau, dass dieser Laufwechsel keinerlei Einschränkungen mit sich führte (Bild 8 a).
Gleichzeitig war das Magazin für die Patrone 7,65mm als auch für die Patrone 9mm kurz verwendbar.
Somit musst hier keine Erneuerung stattfinden (man hat sich wohl ein „Hintertürchen“ offengehalten, da ja nach Versailler Vertrag Kurzwaffen im Kaliber 9mm dem Herstellungsverbot unterlagen) (Bild 8 b)).
Spätere Versionen der Pistole im Kaliber 9mm kurz waren nun mit einem außenliegendem Verschlussfanghebel versehen und die Griffschalen waren „verschraubt“.
Für den Schusstest verwendete ich handelsübliche 7,65mm Munition von GECO.
Das Schussprogramm für die Pistole sah so wie folgt aus:
Entfernung 15 Meter:
- 5 Schuss, Spiegel aufsitzen lassen
- Feststellung der Treffpunktlage (Waffe schoß Fleck)
- 5 Schuss nach Haltepunkt
Abschlußscheibe Entfernung 15 Meter:
15 Schuss mit der Waffe, weil 7,65er schießen so einen Spaß macht….
Auswertung der Pistole Ortgies:
+ Gewicht und Rückschlagenergie sind ausgewogen.
+ trockener, leichtergängiger Abzug
- sehr feine, starre Visierung, die ein schnelles Zielen allerdings nicht zulässt.
+ gute Handlage
+ Fertigladen der Pistole problemlos
+ Keine Zuführungsprobleme mit der verwendeten Munition
Gesamtpunkte von 6 möglichen:
Pistole Ortgies: 5
Persönliches Fazit:
Die erstaunliche Präzision der Pistole ist auch nach fast 100 Jahren wirklich beeindruckend (Bild 9).
Es ist zwar gewöhnungsbedürftig mit der feinen Visierung zu zielen, aber vielleicht macht das grade die Genauigkeit der Waffe aus.
Sie liegt sehr gut in der Hand (in meiner Hand) und vermittelt einem nicht das Gefühl eine Taschenpistole zu sein (Naja, bedenkt man, dass die Admiral Graf Spee auch ein „Taschenpanzerkreuzer“ war). Das hat sicher auch zu ihrem Erfolg beigetragen. Ich hätte sie mir damals mit Sicherheit gekauft, obwohl mir die Beholla-Pistole auch gut gefällt.
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