Bei der Tatwaffe handelte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um das Pistolen Model FN 1910 im Kaliber 9mm kurz. Während der Erzherzog von zwei Kugeln getroffen wurde, wurde seine Frau unbeabsichtigt vom Attentäter getroffen. Beide erlagen ihren Verletzungen (Bild 1b).
Über den Verbleib der Tatwaffe gibt es widersprüchliche Aussagen. Eine weist darauf hin, dass Wiener Jesuiten die Tatwaffe vom österreichischen Königshaus übergeben bekommen haben, andere Versionen sagen aus, dass sie noch im Besitz der Nachfahren ist.
Sicherlich kein Grund die Waffe genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber der außergewöhnlicher Erfolg dieser Waffe und ihre Beliebtheit zu seiner Zeit haben mich neugierig gemacht.
Die etwas verwirrende Bezeichnung des Pistolenmodels 1910/12 rühmt daher, dass die Waffe 1910 entwickelt, aber erst 1912 in den Handel gebracht wurde. Die alternative Bezeichnung „FN Model 1910“ ist somit das identische Model.
Bei dem Model 1910/22 handelt es sich hingegen um das 1922 weiterentwickelte Model der FN 1910. Sie trägt fortwährend diese Modelbezeichnung (Bild 2).
In der Reihe meiner persönlichen Schusstests begleiteten mich diesmal die Pistolen:
- Browning FN Model 1910 Kaliber 7,65 Browning
- Browning FN Model 1910/22 Kaliber 7,65 Browning
Bei dem FN Model handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Browning Pistole 1900 und später dem Model 1903. Modifiziert war beim Model 1910, dass die Verschlussfeder um den Lauf gewunden war. Das wirkte sich natürlich auf die Baugröße des Pistolenmodels aus und war eigentlich immer noch ein wenig revolutionär für seine Zeit. Ab 1912 wurde das Model 1910 im Kaliber 7,65mm und 9mm kurz hergestellt.
Technische Daten Model 1910 und 1910/22:
Kaliber : 7,65mm
Lauflänge : 88mm / 113mm
Magazinkapazität : 7 Patronen / 9 Patronen
Gewicht : 590gr. / 700gr.
Gesamtlänge: 152mm / 178mm
Verschlussbreite : 19mm
Gesamthöhe : 100mm / 120mm
Ladeprinzip : Rückstoßlader mit Masseverschluss und unverriegeltem Lauf (Bild 3 a-c).
Das Model 1910 erfreute sich außerordentlicher Beliebtheit und war der Renner seiner Zeit. War es doch eine Pistole ohne Schnörkel, handlich und funktionssicher. Sie besitzt ein innenliegendes Schlagstück, was dem verdeckte Tragen neben seiner recht schlanken Bauart, der Waffe entgegen kam.
Ab 1912 wurde die Pistole im Kaliber 7,65mm und 9mm kurz auf dem Markt angeboten und weit bis ins 20. Jahrhundert hergestellt. Diese Pistole war ein großer Erfolg der belgischen Waffenschmiede.
Als Weiterentwicklung wurde 1922 das Model FN 1910/22 auf den Markt gebracht. Hier war lediglich die Lauflänge und die Magazinkapazität verändert worden. Dennoch verlor die Pistole nicht an seiner Beliebtheit. Zuverlässigkeit und schlanke Bauweise waren geblieben.
Gerade dieser Waffe, im Kaliber 9mm kurz, bedienten sich viele Armeen und Polizeieinheiten. Im zweiten Weltkrieg wurde das Model 1910/22 auch von der Wehrmacht geführt. Widererwartend „topte“ das Model 1910/22 das Model 1910 in seiner Beliebtheit. Es wurde ein noch größerer Erfolg. Die hergestellten Stückzahlen nahmen astronomische Höhen an. Erst wenig später wurde sie im Kaliber 7,65 Browning hergestellt. In diesem Kaliber fand sie speziell als Offizierspistole den Weg in die Welt der Ordonanzwaffen.
Der Erfolgsweg als Ordonanzwaffe der Modelle 1910 und 1910/22 endete erst, als Armee und Polizei auf leistungsstärkere Pistolenkaliber zurückgriffen.
Die nun im Vergleichstest stehenden Modelle sollen, fast ein Jahrhundert nach ihrer Entwicklung, nochmals ihre Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit unter Beweis stellen.
Wie weit konnten diese beiden Pistolen technisch und in ihrer Handhabungssicherheit von den heutigen, vergleichbaren Modellen, abgehängt werden….oder wurde das Rad im Laufe eines Jahrhunderts nur neu erfunden….
Beide Pistolen sind ohne einen Verschlussfanghebel und Verschlussfang ausgestattet. Mit einer manuell bedienbaren Sicherung in Form eines Hakens an der linken hinteren Rahmenseite, kann der Verschlussrücklauf geblockt und, z.B. bei fertiggeladener Waffe, dass Schlagstück gesichert werden. Eine weitere Option des Hakens ist das Feststellen des Verschlusses auf Mittelstellung, welche für das Zerlegen notwendig ist (Bild 4a).
Das Zerlegen des Models 1910 ist nichts für „Sonntagsschüler“. Die den Lauf umgebende Laufbuchse muss entgegen der Schussrichtung um rund 3mm eingedrückt und dann um ca. 90 Grad gedreht werden. Hierzu muss vorher der Verschluss mit dem Haken geblockt werden. Hat man die Laufbuchse um 90 Grad gedreht, so kommt diese mit „Karacho“, durch die Verschlussfeder (und die hat´s in sich) angetrieben, aus dem Verschluss gedonnert. Mund- und Augenschutz sollte der ungeübte schon tragen, um ohne große Blessuren diese Prozedur zu überstehen…. (Bild 5).
Nun muss der Verschluss auf der Mittelstellung festgesetzt und der Lauf um eine ¼ Umdrehung gedreht werden. Dadurch wird er aus seiner Verankerung im Griffstück gedreht, denn trotz des Masseverschlusses lässt sich dieser Lauf entgegen vieler anderer Modelle ohne zusätzlich benötigtes Werkzeug vom Griffstück trennen (Bild 4b).
Jetzt kann man den Verschluss wieder lösen und vom Griffstück schieben. Als nächstes fällt einem dann die Schlagbolzenfeder entgegen. Also möglichst die Waffe über dem offenen Verbandkasten zerlegen….
Das Model 1910/22 zeigt sich da doch etwas moderater. Die Verschlusslänge und Form bei beiden Waffen ist quasi die gleiche geblieben. Man hat nur die Laufbuchse verlängert, um den längeren Lauf zu ummanteln. An dieser Laufbuchse befindet sich auf der linken Seite ein Arretierschieber, dieser wird gelöst und gibt die Laufbuchse zur Drehung frei (Bild 6c).
Aber auch hier ist Vorsicht geboten, allerdings löst sich die Laufbuchse etwas langsamer vom Lauf. Das weitere Vorgehen ist identisch mit dem Model 1910.
Beide Waffe verfügen über eine Magazinsicherung. Diese verhindert bei entnommenen Magazin die Schussauslösung, so wie ein spannen des Schlagstückes beim zurückziehen des Verschlusses. Das bedeutet, ist die Waffe fertiggeladen und das Magazin entnommen, kann kein Schuss abgegeben werden. Führt man das Magazin in diesem Zustand wieder ein, ist eine Schussauslösung sofort möglich, sofern die Pistole nicht noch zusätzlich gesichert ist.
Ist die Waffe unterladen und man entnimmt das Magazin, so spannt sich beim zurückziehen des Verschlusses das Schlagstück nicht.
Weiterhin verfügen beide Waffen über die klassische Colt Griffsicherung, die ebenfalls die Schussauslösung verhindert, wenn diese nicht mit der Waffenführenden Hand fest eingedrückt wird (Bild 6a).
Während das Model 1910 über eine sehr feine Visierung, die aus einem aus dem Verschluss ausgelassenem Korn und einer in den Verschluss gefrästen Kimme besteht, verfügt, so weist das Model 1910/22 eine annähernd vollwertige Visierung auf (Bild 6b).
Die äußerst schlanke Bauform ist bei beiden Pistolen auffällig und begünstig ebenfalls das verdeckte tragen. Das Model 1910/22 fässt sich, aufgrund des verlängerten Griffstückes, allerdings wesentlich komfortabeler als sein Pate.
Auffällig ist die aus meiner Sicht recht „klapprige“ Bauweise. Der Verschluss lässt sich, ob gespannt oder entspannt, so ziemlich in alle Richtungen hin und her bewegen. Ob das Zielballistische Auswirkungen hat, wird sich wohl zeigen.
Für den bevorstehenden Schusstest verwendete ich folgende Munition:
Handelsübliche 7,65mm Munition von Sellier & Bellot.
Das Schussprogramm für beide Waffen so wie folgt aus:
Je Waffe 5 Schuss durchs Messgerät
Entfernung 2mtr.
V2 Mod. 1910: 279 m/s E2: 234 Joule
V2 Mod. 1910/22: 294 m/s E2: 260 Joule
Je Waffe 5 Schuss zur Feststellung des Haltepunktes
Entfernung 15mtr.
FN 1910 Fleck, links / FN 1910/22 Fleck, rechts
Je Waffe 10 Schuss nach Haltepunkt
Entfernung 15mtr.
1910 rot / 1910/22 gelb markiert
Auswertung Mod. 1910:
+ Rückstoss ausgewogen
+ Abzug etwas schwammig mit langem Auslöseweg, dennoch gut zu handhaben
- zu feine Visierung, schwierige Zielauffassung
- Mäßige Handlage durch kurzes Griffstück
+ Verschluss beim Fertigladen gut bedienbar
+ Keine Probleme mit der verwendeten Munition
Auswertung Mod. 1910/22:
+ Rückstoss sehr ausgewogen, schnelle, erneute Zielaufnahme möglich
+ Abzug etwas schwammig mit langem Auslöseweg, dennoch gut zu handhaben
+ Gute Visierung, leichte Zielauffassung
+ Gute Handlage
+ Verschluss beim Fertigladen gut bedienbar
+ Keine Probleme mit der verwendeten Munition
Gesamtpunkte von 6 möglichen:
1910 = 4 Punkte
1910/22 = 6 Punkte
Persönliches Fazit:
Natürlich haben die Waffenhersteller in den letzten 100 Jahren im Bereich der Pistolen im Kaliber 7,65mm und 9mm kurz dazugelernt. Somit ist das Rad nicht neu erfunden worden.
Dennoch zeigt ein Blick zurück, dass der Aspekt der Bediensicherheit Anfang des 20. Jahrhunderts einen hohen Anteil bei der Konstruktionsaufwand aufwies und sich somit in den Vordergrund stellte. Das Zerlegen dieser beiden Waffen allerdings befand sich eher noch auf einer Anfangstufe. Mir steckt das „Fieldstripping“ des Models 1910 immer noch in den Knochen.
Bezüglich der Bedienbarkeit und der Präzision lässt sich jederzeit ein Vergleich anstellen und da stehen auch keine 100 Jahre zur Debatte (Bild 7).
Klarer Favorit in diesem Test war das Model 1910/22. Lauf- und Grifflänge, sowie der modifizierte Zerlegevorgang waren hier ausschlaggebend. Wohl in der heutigen Zeit Designoptisch etwas „aufgepeppt“ würde sie sich ihre hundert Jahre zurückliegende Innovation nicht anmerken lassen.
Zwei recht gute Pistolen, die dem Schützen das Flair von 100 zurückliegenden Jahren ein wenig nahe bringen.
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