es war mal wieder einer dieser Abende, an denen ich Lust darauf hatte, mich waffentechnisch weiter zu bilden.

In einem solchen Fall suche ich dann meist bei YouTube nach einer Folge von „Forgotten Weapons“ mit Ian Mc Cullom (aka „Gun Jesus“) und lasse mir etwas zu Geschichte und Technik einer interessanten Waffe erzählen.
https://www.youtube.com/watch?v=H5hmR8QMScc&t=465s
Dieses Mal ging es um das erste Repetiergewehr, welches im Deutschen Heer eingesetzt wurde, das Mauser Infanterie-Gewehr M 1871/84.
Ganz ehrlich: Diese Waffe habe ich bisher nur am Rande wahrgenommen: Ja, kenne ich, war der Nachfolger des Einzelladers M 1871 und verschoss eine Schwarzpulver-Patrone. Das war so ziemlich alles was ich wusste.
Nun, nach dem Beitrag wusste ich etwas mehr, technisch interessantes, acht Patronen fassendes Röhrenmagazin, welches man auch blockieren konnte, um die Waffe zunächst wie den M 1871 als Einzellader nutzen zu können. Der Wahlhebel durfte erst auf Befehl eines Vorgesetzten in die hintere Position geschoben werden, um die acht Patronen des Magazins in einer gefährlichen Situation (z.B. feindlicher Einbruch, Nahkampf) schnell zur Verfügung zu haben. Neu war mir auch das Kaliber der Waffe: 11,15x60R. Eine Flaschenhals-Patrone mit Schwarzpulverladung, Geschoßenergie weit über 2000 Joule.
https://de.wikipedia.org/wiki/11_%C3%97_60_mm_R
Weit über 2000 Joule? Damit hochwildtauglich? Hmm … Wie wäre es, eine solche Waffe mal tatsächlich jagdlich zu nutzen? Das machen heute sicher nicht mehr viele Jäger.
Liegt vielleicht auch daran, dass man diese Patronen nicht mal eben im Waffengeschäft um die Ecke beziehen kann. Im Zweifelsfall selber laden wie „losconloscon“ oder bei der Firma Waffen Dorfner in Wien beziehen. Dort hat man sich darauf spezialisiert, auch über hundert Jahre Patronensorten wieder zu produzieren.
Und damit fing es an: Zunächst besorgte ich mir dort mal 20 Patronen 11,15x60R sowie bei eGun den Nachdruck einer Bedienungsanleitung. Zeitgleich stöberte ich dort nach einem passenden Stück:
Ok, hat es schon, hergestellt 1888 in der Gewehrfabrik Amberg, nummerngleich, technisch einwandfrei und optisch recht ansprechend. Nach Recherche bei Hermann Historica war mir klar, dass diese Waffe nicht günstig zu haben sein wird, aber wenn man sich was einbildet … Ihr kennt das bestimmt.

Um es kurz zu machen: Ich habe das gute Stück ersteigert und heute persönlich abgeholt, da der Händler nur 1 ½ Stunden Autofahrt entfernt seinen Laden hat.
Der Einfachheit halber setze ich hier einige Bilder der Auktion ein. So gut bekomme ich die nicht hin und ich denke, der Händler hat nach dem Verkauf der Waffe auch kein besonderes Interesse mehr an irgendeinem Copyright.
IMG_8180.jpg
IMG_8183.jpg
IMG_8207.jpg
IMG_8201.jpg
Mit 133 Jahren ist es tatsächlich die älteste Waffe, die ich je erworben habe. Daher habe ich sie natürlich zunächst mal nach einer Anleitung bei YouTube zerlegt und genau inspiziert. Wer auch immer sie vor mir gehabt hat: Mein Kompliment: Blitz-blank gereinigt! Nach Auskunft des Händlers stammt sie aus einer größeren Sammlung.Vermutlich ist sie daher auch schon seit Jahren – wenn nicht seit Jahrzehnten – nicht mehr geschossen worden.
Nun, das wird sich ändern!

Als Jäger darf ch im Revier jederzeit eine Waffe an- und konrollschießen. Und das mche ich morgen auch!
Genau genommen erscheint es mir wie ein kleines Wunder, dass diese Büchse so lange in diesem guten Zustand „überlebt“ hat.
Ich spekuliere mal etwas:
Hergestellt im Jahr 1888 war sie eigentlich schon bei ihrer Produktion überholt, da im selben Jahr das sog: „Komissionsgewehr“ G 88 mit der raucharmen und leistungsstarken Nitro-Patrone 8x57 I im deutschen Heer eingeführt wurde.
Nach der Beschriftung der Schaftplatte ging sie an das "Bayerische Ersatz-Bataillon des Ersten Reserve Infanterie-Regimentes“, welches sich in München befand und im Dezember 1918, also nach Ende des Ersten Weltkrieges, aufgelöst wurde.
IMG_8221.jpg
Ich bin überzeugt davon, dass man keinen einzigen deutschen Soldaten mit einem M 1871/84 an die Front geschickt hat und vermute, dass diese Waffen in erster Linie zum Exerzieren genutzt wurden.
Nach dem Vertrag von Versailles durfte die Reichswehr dann ab 1920 nur mehr 100.000 Mann unter Waffen haben (sog. 100.000 Mann Heer). Natürlich behielt man den modernsten Gewehrtyp, den es damals gab, das G 98 und „belastete“ sich nicht weiter mit den mittlerweile völlig überholten Schwarzpulver-Waffen. Diese wurden günstig an Händler veräußert, welche daraus in erster Linie zivile Jagdwaffen fertigten, denn diese fielen nicht unter die Restriktionen der Alliierten. Zu diesem Zeitpunkt ging die fragliche Büchse vermutlich in Privatbesitz über und landete in irgendeinem (Waffen?) Schrank bzw. Dachboden. Ob der damalige Besitzer tatsächlich vor hatte, mit dem M 1871/84 zu jagen? Vielleicht kämpfte er auch als Angehöriger der Räterepublik damit gegen das Freikorps in München? Wer weiß?
Wie auch immer, nach dem Ersten Weltkrieg folgte 1939 der Zweite Weltkrieg. Da es für Deutschland bekannterweise wieder nicht zum Endsieg gereicht hat, rückten in Bayern ab April 1945 die Amerikaner ein. Diese hatten zum Thema „Waffenbesitz in privater deutscher Hand“ eine ganz einfache „policy“: Findet nicht statt! Sofort abliefern oder sofortiges Standgericht. Und hier frage ich mich natürlich schon, wie die von mir erstandene Büchse nicht den Weg in die USA als "war trophy" oder den Weg alles Irdischen gegangen ist. Als Waffe des „Deutschen Volkssturms“ wäre sie bei Kriegsende garantiert von einem Sherman-Panzer überrollt oder ganz einfach mit vielen anderen verbrannt worden. Das scheidet wohl eher aus, zumal man 1945 trotz ständiger Waffenknappheit erst mal von irgendwoher Patronen hierfür hätte organisieren müssen. Vermutlich blieb sie, vergessen von allen, als buchstäbliche „Zeitbombe“ auf dem Dachboden liegen, gut versteckt und eingeölt vom Vater oder Großvater. Ich kann nur sagen: Großes Glück gehabt!
Und da könnte sie unangemeldet noch heute liegen, wenn es in der 1949 gegründeten Bundesrepublik ab 1955 nicht wieder möglich gewesen wäre, Waffen zu besitzen. Irgendwie musste sie ja wieder in den legalen „Kreislauf“ gekommen sein, spätestens wohl 1972 mit der „Waffen-Amnestie“. Was machen also die lieben Enkel? „What? Das alte Ding ist immer noch da? Verkaufen natürlich!“ Und so muss die Büchse dann in die Hände eines Sammlers gekommen sein, von dem ich sie jetzt über einen Händler bei eGun bekommen habe.
Das waren jetzt 133 Jahre deutsche Waffen-Geschichte im Schnelldurchlauf!

Ich hoffe, Bilder und Beitrag haben euch gefallen. Ein Bericht vom Schießen kommt dann morgen!
Schönen Gruß,
Bernhard
Kommentar