Aus dem Polizeialltag in Hessen
Auszugsweise veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Brief eines Kollegen in anonymisierter Form.
Eindrucksvoll schildert er die Belastungen denen die Kolleginnen und Kollegen in der letzten Zeit ausgesetzt sind. Ein langer Text, aber jede Silbe lesenswert!
Anzumerken ist, dass der Kollege diesen Brief unter Nennung seines Namens an das Innenministerium gesandt hat.
Zum Text:
Ich bin im Streifendienst eingesetzt und betreue den jeweils zugeordneten Ermittlungsbezirk.
Zu unserer Station kann ich angeben, dass sie eher zu den kleineren Stationen zählt und mit knapp 50 Beamten besetzt ist.
Diese Kollegen verteilen sich auf fünf Dienstgruppen, eine Ermittlungsgruppe und den Polizeiposten in ………………...
Im ………. 2015 wurde in unserem Stationsbereich die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in …………….. eingerichtet. Im Jahr 2016 kam die Asylunterkunft in ………………. hinzu.
Zu Spitzenzeiten hatten wir ca. zweitausend Asylbewerber zu betreuen, im Mittel waren es um 1600 Asylbewerber.
Zu meiner neuen Aufgabe zählte nun die Betreuung des Ermittlungsbezirkes …………………. und damit die Betreuung der Asylunterkunft …………………. Diese Aufgabe fand aber zusätzlich zu meiner Tätigkeit des Streifendienstes statt.
Mein Streifendienst wandelte sich seit der Einrichtung der Asylunterkünfte extrem.
Konnten wir früher Streife fahren, Verkehrskontrollen durchführen, oder unsere übersandten Vorgänge erledigen, so mussten wir nun täglich zu den Asylunterkünften ausrücken.
Grund hierfür waren unter anderem Streitigkeiten, oder körperliche Auseinandersetzung zwischen den Asylbewerbern.
Auch kam es täglich vor, dass wir zu Ladendiebstählen, welche Asylbewerber begangen hatten, gerufen wurden.
Mit einer Strafanzeige als Folgemaßnahme allein war es hiernach nicht getan.
Es waren weitere Maßnahmen, wie eine erkennungsdienstliche Maßnahme, Vernehmungen, Ingewahrsamnahmen, etc. vonnöten.
Dies alles nahm sehr viel Zeit und „Manpower“ in Anspruch.
Trotz der starken Zunahme der Belastung bekam unsere Station keinerlei personelle Verstärkung. Dieser Personalmangel führte unter anderem dazu, dass wir zu Streitigkeiten in der Asylunterkunft in …… mit nur einem, oder zwei Funkwagen fuhren.
Hier standen wir dann ca. 40 – 50 aggressiven Personen gegenüber. Nur mit viel Glück und Besonnenheit der Kollegen kam es nicht zu Übergriffen/ Verletzungen von uns.
Wir machten damals die Dienststellenleitung auf die miserable Eigensicherungssituation aufmerksam. Das Ergebnis war, dass eine Absprache mit den angrenzenden Dienststellen getroffen wurde. Für den Fall einer größeren Lage sollten Streifen entsandt werden.
Diese Streifen wurden auch wie geplant entsandt, jedoch kam es aufgrund der Distanzen zum Einsatzort und der damit einhergehenden Zeitverzögerung oft dazu, dass hiesige Streifen erstmal auf sich gestellt waren.
Außerdem blieben alle angezeigten Sachverhalte zur Bearbeitung bei hiesiger Dienststelle, da ja das Tatortprinzip gilt.
Neben diesen nun täglichen Einsätzen kam eine Vielzahl von Ersuchen von anderen Dienststellen hinzu. Hierzu kam es, da die Asylbewerber hier gemeldet waren, aber auch in anderen Stationsbereichen Straftaten begingen.
Trotz dieser immensen Zusatzbelastung wurde unsere Personaldecke nicht verstärkt.
Zu dieser schon eh sehr angespannten Situation kamen auch noch dutzende nächtliche Begleitungsfahrten von Schwertransporten hinzu. Man hatte in unserem Stationsbereich mehrere Windparks genehmigt und mit deren Bau begonnen.
Aber damit nicht genug. Zwischenzeitlich wurde auch damit begonnen, abgelehnte Asylbewerber zurückzuführen.
Dies bedeutete für uns, dass wir die abzuschiebenden Asylbewerber abholten und sie teilweise nach Kassel Calden fuhren. Dies geschah natürlich auch im regulären Nachtdienst, oder in einem Zusatznachtdienst, welcher um 14.00 Uhr, nach einem 12 Stunden Nachtdienst, begann.
Im Jahr 2016 war kein geregelter Dienstablauf mehr gegeben.
Wir mussten Zusatzdienste zu allen möglichen Tages/ Nachtzeiten, oder an allen Wochentagen machen.
Ein normales Familien-/ Privatleben war ebenfalls nicht mehr möglich.
Diese Situation forderte natürlich ihren Tribut und es fielen einige Kollegen, unter anderem mit einem Herzinfarkt, längerfristig aus.
Zur Unterstützung bekam nun unsere Dienststelle eine Streife der Bereitschaftspolizei, welche jedoch nur von 14.00 h - 24.00 h ihren Dienst versah.
Wir alle hier gaben unser Bestes, obwohl wir durch die stark gestiegene Arbeitsbeanspruchung extrem belastet waren.
Zu den physischen Belastungen kamen natürlich auch psychischen Belastungen hinzu, welche sich bei Abschiebungen, oder gefährlichen Einsätzen ergaben.
Man war bei Abschiebungen mit weinenden Kindern, auseinander gerissenen Familien konfrontiert, oder wurde in anderen Fällen mit abgebrochenen Bierflaschen angegriffen, mit Kot beworfen, bedroht, bespuckt und als Nazi beleidigt.
Einige Kollegen wurden körperlich angegriffen und dabei verletzt.
Wer nun annimmt, dass wir unter diesem Zustand eine personelle Verstärkung bekommen hätten, liegt falsch.
Stattdessen wurden wir aufgefordert mehr Verwarnungsgeld zu machen, Verkehrskontrollen mit Blutentnahme durchzuführen, oder bei Hundertschaftsübungen Marschieren zu üben.
Nicht zu erwähnen brauch ich hier, dass natürlich noch „normale Einsätze“, wie Fußballeinsätze, „Seatbelt Control“, etc. hinzukamen.
Diese Gesamtsituation konnte nur gemeistert werden, da alle Kollegen mehr als 200 Prozent gaben, der Schichtdienst die Ermittlungsgruppe unterstützte und jeder für jeden einsprang.
Ferner dürfen wir unsere Familien nicht vergessen, welche diese chaotische Zeit mittrugen.
Unterstützung von außen gab es leider keine. Auch gab es keine Priorisierung auf wichtige Sachverhalte seitens der Polizeiführung. Es sollte alles bewerkstelligt werden, frei nach dem Motto „Wir schaffen das“.
Und nun komme ich zum eigentlichen Grund meines Schreibens.
Ich lese im Intranet einen Bericht, in welchem geschildert wird, dass Herr Innenminister Peter Beuth Sonderleistungsprämien überreicht hat.
Diese Prämie, bis in eine Höhe von ca. 4000,-€, wurde an Landesbedienstete, welche von ihrer Dienststelle abgeordnet wurden, zusätzlich zu ihrem Gehalt gezahlt.
Ich frage mich, mit welcher Berechtigung eine solche Sonderleistungsprämie ausgezahlt wurde.
Für diese abgeordneten Landesbediensteten mussten andere Bedienstete auf deren Dienststellen liegengebliebene Arbeit miterledigen.
Haben diese mehrbelasteten Bediensteten auch eine Sonderleistungsprämien erhalten?
Was ist mit den Kollegen auf stark belasteten Dienststellen wie der unseren?
Hiesige Kollegen haben sich zu allen möglichen Tages und Nachtzeiten „den Hintern“ aufgerissen, sich engagiert allen Situationen und auch Gefahren gestellt.
Der Artikel über die Auszahlung dieser Sonderleistungsprämie war nicht nur ein Schlag in das Gesicht der Kollegen, es war einfach nur ein massiver und mieser Schlag in den Magen.
Mir geht es hier explizit nicht um den ausgezahlten Geldbetrag. Mir geht es darum, hier zu sagen, dass alle hiesigen Kollegen der Meinung sind, dass wir hier, die Kollegen in der vordersten Linie, mittlerweile nur noch „das Letzte“ sind und andere, für ihre normal abzuleistende Arbeit, welche natürlich nur zu den normalen Geschäftszeiten getätigt wird, Sonderprämien erhalten.
Unsere Arbeit wird nicht mehr geschätzt und wir haben den Eindruck, dass wir verheizt werden. Wieviel ist da noch das Gütesiegel "Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen" wert?
Für die Beamten des Schichtdienstes vermutlich nichts mehr.
Wir alle sind zwar noch mehr, oder weniger gerne Polizisten, aber mittlerweile doch desillusioniert und von der Politik und der Polizeiführung enttäuscht.
Wir können einfach so manche politische Maßnahme/ polizeiliche Vorgabe nicht mehr nachvollziehen.
Ich würde mir wünschen, dass nicht an einzelne Kollegen eine Sonderleistung gezahlt wird, sondern man dem „Schutzmann vor Ort“ wieder mehr Anerkennung zukommen lässt.
Diese sollte sich auch nicht auf ein einmaliges und von uns meist als heuchlerisch empfundenes Schreiben zur Weihnachtszeit begrenzen.
Es wäre sinnvoll sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Vorgabe "Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen" auch für die Beamten des Schichtdienstes umzusetzen und letztendlich umgehend mehr Personal einzustellen.
……………………….."
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